Wo ist die Zeit geblieben?

Es ist der Freitag nach dem Lauf, 30.7.2010, früher Abend. Seit meinem letzten Bericht sind knapp 40 Stunden vergangen. Dazwischen liegen viele Erlebnisse, Eindrücke, Emotionen. Der Versuch einer Chronologie.

Donnerstag Nacht. Ich liege knapp eine Stunde auf der Luftmatratze, da geht um 2.40 Uhr die Feuerwehrsirene los…….wir liegen ja quasi daneben. Die Sekunden danach waren von panikartigen Fragen gekennzeichnet: Brennt die Feuerwehr selbst? Brennt es überhaupt? – Ja, Rauch, brandiger Geruch dringt aus Richtung des Feuerwehrgebäudes zu uns. Hinüberlaufen, prüfen der Situation, eintreffende Feuerwehrmänner mit Zuruf befragen, herausfinden, dass in Usedom-Stadt eine Wohnung brennt, nicht weit von hier. Stehen unsere Autos in der Ausfahrt? – Nein, Beruhigung und hoffen, dass es für die Betroffenen glimpflich abgeht. Nachtschlaf? – Erstmal vorbei. Am nächsten Morgen (also eigentlich ja am selben…) wird erst offenbar, wie kaputt unsere Läufer sind. Viele haben es nicht gehört (….und es war wirklich laut!), einer hat zu seinem Nachbarn gesagt:“Mach doch mal dein Handy aus!“ – und drehte sich wieder um.

Im Frühstücksbereich war eine Mischung aus Anspannung und erwartungsvoller Gelassenheit zu greifen. Die Favoriten saßen am selben Tisch und tauschten Ideen aus, wie das Rennen wohl enden könnte. Andere waren voller Vorfreude ob des vom nächtlichen Regen bereiteten kühlen Laufmorgens. Wieder andere rechneten durch, wie sie es hinbekommen bis zum vierten Versorgungspunkt das von uns geforderte Mindesttempo zu halten, um dann ganz beruhigt das Ziel in Karlshagen erobern zu können.

Die Helferaufgaben waren verteilt, das Rennen beginnt. Es ist für alle ein Rennen gegen die Zeit, Helfer und Läufer. Wie der Tag zeigen sollte, war die Möglichkeit, das Rennen zu genießen, eher auf Seiten der Läufer.

Martin Büchter hatte so richtig Lust am Tempo und stürmte der Ostsee mit bisher hier nicht von ihm gesehenen Tempo entgegen. Später hat er dann doch ein wenig drosseln müssen, aber sein Beginn war schon beeindruckend. Die See lockt eben. Aber auch viele andere nutzten die optimalen Laufbedingungen und waren weit besser unterwegs als bisher – etwa Schneggi (Hans Drexler) mit „…100 Minuten unter Cut-Off….“ Wie er mir fast unmittelbar nach Zieleinlauf zurief.

Im Schnellfußquartett zeigte Stefan Daum eindrucksvoll, dass die Einschätzung von gestern richtig war. War er da schon „verlaufminutenbereinigt“ am schnellsten unterwegs, so konnte er auf dem letzten Abschnitt Dank der von Grit Seidel hervorragend markierten Strecke den bisherigen Streckenrekord um 17 Minuten verbessern – und den hielt ja mit Michael Vanicek auch nicht gerade ein langsamer Läufer.

Tagesplatz zwei und mit großem Kampf (und auch unter Michas altem Streckenrekord) damit auch Gesamtzweiter: Axel Rymarcewicz. 69 Sekunden Vorsprung konnte er am Ende halten – wahrlich nicht viel nach ca. 325 Kilometern. Als dritter am Ziel, aber Sieger des Geamtlaufes: Ralf Steißlinger. Der vierte im Bunde schließlich, Dirk Kiwus, verlor an diesem Tag viel Zeit auf drei ganz starke. Und ging damit so sympathisch souverän um, dass man nur sagen kann: Hut ab, zweimal großer Sport. Seinen Versuch, das hohe Tempo mitzugehen, um seinen Podiumsplatz zu verteidigen, kann ich gut verstehen. Die Erkenntnis, es nicht zu schaffen, dann bereits auf der Strecke so zu verarbeiten um im Ziel allen aufs herzlichste zu gratulieren war schon bemerkenswert.

Der Ausgang des Frauenrennens war nach dem Zwischenstand auf die Frage reduziert, wer den zweiten Platz würde erkämpfen können. Mit einem sehr beherzten Rennen konnte sich Eva Schlüter noch diesen Rang sichern, für sie war das Rennen definitiv zu früh zu Ende, konnte sie sich doch von Tag zu Tag steigern. Elke Dörnfeld vervollständigte das Podium und wirkte damit sichtlich zufrieden. In der Deutlichkeit überraschend und auch sonst so nicht erwartet, konnte Silke Stutzke sich nicht nur den Gesamtsieg sondern, auch den fünften Etappensieg holen. Und noch dazu eine Gesamtzeit von unter 34 Stunden, womit sie im „ewigen“ Ranking nunmehr den zweiten Platz einnimmt. Und „nebenbei“ lief sie mit unter sechs Stunden nicht nur ihre schnellste Etappe, sondern verbesserte den Streckenrekord von Marika Heinlein um 5 Minuten. Es sei mir erlaubt zu sagen, dass ich sehr stolz auf sie bin.

Stolz waren auch all die anderen Sieger, die nacheinander das Ziel erreichten. Die stillen Zielbeobachtungen der ausbrechenden Freude sind der schönste Lohn für die Arbeit eines Jahres. Für mich als Veranstalter besonders schön war der Umstand, dass mit Holger Hedelt und John Kupferschmidt zwei Athleten den Lauf beenden konnten, die im Vorjahr noch gescheitert sind.

In der Rückschau hat wieder alles gepasst. Doch vor 30 Stunden war ich nah am Verzweifeln. Vor der Turnhalle stehend war niemand erreichbar, die Versorgungsposten des ersten Streckenabschnitts steckten im „Schlechtwetter-Megastau“, weil nun alle Strandurlauber ins Landesinnere fuhren. Versorgungsfahrzeug und Kofferauto wurden zur Vorbereitung der Abschlussfeier gebraucht, unsere Chefin des Abends kam auch nicht durch, im „Haus des Gastes“ bewegte sich die Trennwand keinen Zentimeter, musste doch aber zusammengeschoben werden….. merkwürdige Ideen rasen durch den Kopf: Was, wenn wir hier kein Quartier bekommen? …. Was, wenn die Helfer erst am Abend hier eintreffen? …. Was, wenn die Zeitnahme nicht bis Zieleinlauf steht? Es war alles sehr knapp, aber unser wirklich tolles Helferteam hat unter großem Einsatz all diese Schwierigkeiten gemeistert. Eva fand Schleichwege, im Kursaal kämpften die Techniker, Lutz konnte die Zeitnahme 15 Minuten vor dem ersten Läufer installieren, der Schulhausmeister traf auf einmal auch noch ein und über Telefonkonferenz verteilten die „Stauhelfer“ die Aufgaben mit den „früh Angereisten“ neu. Auch Arpad beeilte sich ins Ziel zu kommen, so, dass wir noch am Strand Urkunden und Protokolle drucken konnten und die knapp hundert Läufer, Helfer und Gäste eine pünktlich beginnende und dem Anlass entsprechend wie ich denke würdige Ehrung erleben konnten.

Ähnlich wie nach einem Lauf geht es mir am Ende einer solchen Veranstaltung. Das Ziel ist erreicht und damit fällt viel Anspannung weg. Konnte ich eben noch in hohem Tempo laufen ist das nach Erreichen der Distanz nicht mehr möglich. Die Schlagzahl im Organisatorenjob sinkt bei Zielschluss auch erheblich ab. Deshalb gestern kein Tagesbericht mehr, deshalb auch heute erst sehr spät. Deshalb gestern keine Prüfung der Ergebnisse im Internet und Zufriedenheit mit kurzer Sofortberichterstattung. Heute erst einmal Aufräumen, Verabschieden, Nachbereitungen. Und ganz wichtig: einige Stunden mit der Familie und ein erholsamer Mittagsschlaf. Und so ging es Lutz wohl auch. Also alle, die mehr erfahren wollten bisher:

denkt an die Zeit, als nach Wettkampfschluss noch die Protokolle handgeschrieben mit der Post versandt wurden……und habt das, was ihr auf der Strecke auch habt: Geduld.

Liebe Grüße an alle, die mit uns gefiebert haben, vielen Dank für die vielen Grüße an Läufer und Helfer (wir haben fast alles zeitnah veröffentlicht) und eine gute Vorbereitung auf den vierten Baltic-Run (falls ihr daran teilnehmen wollt) wünscht euch

Jörg

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